Illustriert von "BuBE" Stephan Buße


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Samira läuft gerne barfuß durch das Gras. Am liebsten frühmorgens. Noch vor dem Schulunterricht. Dafür steht sie zwanzig Minuten früher auf. Und sie verzichtet auf ihr Frühstück. Was Samiras Mama überhaupt nicht gefällt. Ohne Frühstück kann man nicht lernen, meint Samiras Mama. Aber Samira lacht nur. Sie weiß, dass ihre Mutter für die Pause etwas zu essen für sie eingepackt hat. In eine Box. Und in der Box wird ein Zettel mit guten Wünschen liegen, wie jeden Tag. Eine kleine Möhre. Ein Radieschen. Ein paar Gurkenscheiben auf einem Salatblatt. Auch eine Flasche mit Tee gibt es. Tee von der getrockneten Melisse aus dem Garten. Melisse-Tee ist Samiras Lieblingstee. Die Mutter trocknet die Melisse auf dem Dachboden. Zusammen mit anderen Kräutern.

   Samira mag es, wenn der kühle Morgentau ihre nackten Fußsohlen benetzt. Dann hüpft sie vor Freude hoch in die Luft. Samira hüpft immer hoch in die Luft, wenn sie sich besonders freut. Und sie klatscht in die Hände. Und lacht. Samira lacht gerne. Und laut. So laut, dass ihr Papagei Nico daheim immer erschrickt und aufgeregt im Käfig herumflattert. Sie entschuldigt sich dann bei Nico, streift ihm sanft übers Köpfchen und verspricht, dass es nicht mehr vorkommen wird.

   Samira mag es auch gerne, durch frisch gemähtes Gras zu laufen. Mit den Zehenspitzen wirft sie das Gras hoch in die Luft. Und es bleiben viele kleine Grashälmchen zwischen ihren Zehen hängen. Manchmal ist sogar ein Regenwurm dabei, den sie gar nicht bemerkt und mit nach Hause in die Küche bringt. Und manchmal kriecht der dann den Flur entlang, hinein ins Schlafzimmer der Großmutter.

   „Eine Klapperschlange“, ruft die Oma, wenn sie ihn sieht, und verkriecht sich im Bett. Samira muss die Oma beruhigen und bringt das Würmchen zurück auf die Wiese.

   Ein schönes Spiel, findet Samira und gibt sich Mühe, beim nächsten Mal wieder eine „Klapperschlange“ mitzubringen.

   Samira schlägt gerne Purzelbäume auf der Wiese. Sie ist sehr sportlich, schlägt auch das Rad. Sie spielt gerne Hand- und Federball. Sogar Fußball. Hüpft gerne Seil. Aber am liebsten liegt sie im Gras, auf dem Rücken und sieht den Wolken hinterher. Und vergisst sich in ihren Träumen.

 

Heute sehen die Wolken über ihr aus wie eine Schafherde, stellt Samira fest. Und ein Stückchen weiter wie eine riesengroße Menge Popcorn. Quer verstreut über den Himmel. Die Popcornwölkchen mag Samira sehr. Auch die riesig großen Wolken, die wie Zuckerwatte aussehen. Und die manchmal so groß und nah sind, dass Samira meint, sie würden vom Himmel purzeln. Samira möchte gerne mal auf den Wolken spazieren laufen. Barfuß. Von Wolke zu Wolke hüpfen.

   Die Wolken verändern sich schnell. Dort über dem Gebüsch zum Beispiel. Aus dem Schaf wird ein Hund. Aus dem Hund eine Katze. Aus der Katze ein Gockelhahn. Aus dem Gockelhahn ein Fisch. Aus dem Fisch ein Schmetterling. Und der Schmetterling fliegt weiter, zur nächsten Wolke.

   Die Wolke sieht aus wie eine Blume. Wie eine Tulpe, dann wie ein Schneeglöckchen, wie eine Schlüsselblume, letztendlich wie ein Gänseblümchen. Und Samira wünscht sich was. Für jedes Gänseblümchenblättchen hat sie einen Wunsch. Aber bei Wunsch vier angekommen, rückt eine Wolke näher. Und aus dem Gänseblümchen wird ein Baum.

   „Wunsch, ade“, flüstert Samira vor sich hin. Aber in dem Baum, man sieht es kaum, ganz oben im Wipfel, ist ein Nest. Und in dem Nest hat sich der Regenbogen versteckt. Ein kleines bisschen guckt er raus. Samira sieht grün, blau, gelb, orange, rot und violett. „Schöner, kann es kaum sein“, flüstert Samira vor sich hin. „Wie schön die Welt doch ist.“

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Samira zieht die Luft durch die Nase. „Wie das Gras duftet. Riechst du das, kleiner Flatter?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, erzählt Samira weiter. „Ich liebe die Morgenluft sehr. Sie riecht so frisch. Wie frisch gewaschene Wäsche. Findest du das nicht auch, kleiner Flatter?“ Eine Antwort aber wartet Samira nicht ab. „Wir hängen unsere Wäsche immer im Garten auf. Der Papa hat eine Wäscheleine gezogen, weißt du. Vom Pfirsichbaum bis zum Kirschbaum. Quer durch den Garten. Es sieht lustig aus, wenn die Bettwäsche im Wind flattert. Einmal hat sich die Mama in der Bettwäsche verfangen. Da war der Wind gar zu stark. Und als sie wieder rauskam aus dem Laken, sah sie ganz schön zerzaust aus. Ihre Haare waren ganz strubbelig. Und die Brille war verrutscht.“ Samira lacht. „Da hättest du die Mama mal sehen sollen, kleiner Flatter. Und den Opa erst. Der Opa hat sich den Bauch gehalten vor Lachen. Man darf ja niemanden auslachen, aber die Mama sah wirklich komisch aus. Und sie musste selber lachen.“